Rudolf Hammerschmidt (1904 – 1922)

Der Kommerzienrat
Der Geheime Kommerzienrat Rudolf Hammerschmidt (1853 – 1922)

Aus bürgerlichen Verhältnissen stammend erarbeitete sich Rudolf Hammerschmidt sein großes Vermögen in der expandierenden russischen Baumwollindustrie. Das von ihm 1899 in Bonn erworbene Anwesen, als „Villa Hammerschmidt“ ab 1950 Dienstsitz des deutschen Bundespräsidenten, war vor dem Ersten Weltkrieg ein Zentrum des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens der Universitätsstadt.

Rudolf Hammerschmidt wurde am 19.7.1853 als drittes von fünf Kindern von Bernhard Hammerschmidt (1821-1906) und Luise Eichelberg (geboren 1821-Todesdatum unbekannt) in Dortmund geboren. Die Tätigkeit in der Textilbranche lag in der Familie: Der Großvater besaß eine Papiermühle und Beteiligungen an Webereien, der Vater eröffnete nach einer Zeit als Lehrer und Organist einen Leinenhandel in Bielefeld. In der Familie genoss der begabte Junge zwischen vier Schwestern eine Sonderstellung, durchlief mit großem Erfolg das Königliche Gymnasium in Bielefeld und trat nach Ende der Schulzeit in die inzwischen vergrößerte Handlung des Vaters ein. Hier hörte er durch Geschäftsfreunde von den ungewöhnlichen Aufstiegs- und Gewinnchancen, die sich deutschen Jungunternehmern in Russland eröffneten.

1876, im Alter von gerade 23 Jahren, wagte er den beruflichen Neuanfang in St. Petersburg, aus dessen bedeutender deutscher Kolonie schon mancher Kaufmann oder Handwerker zum Fabrikanten aufgestiegen war. In ausgezeichneter Geschäftslage gründete er am Newsky-Prospekt die Firma „R. B. Hammerschmidt Manufakturwaren en gros und Agentur“, lernte schnell Russisch und knüpfte wertvolle Kontakte. Aus seiner Freundschaft mit Karl Albrecht Röttger (1831-1884), dem Verleger und Inhaber der Kaiserlichen Hofbuchhandlung, erwuchs die Mitarbeit an der Schriftenreihe „Russische Revue“. 1882 heiratete Hammerschmidt Röttgers Tochter Minna Elisabeth (1861-1943), genannt Lili.

Der Zugang zum Meer und eine qualifizierte Arbeiterschaft hatten die Hauptstadt des Zarenreichs zu einer Hochburg der Baumwollindustrie gemacht. Im Zentrum der weit gespannten Aktivitäten Hammerschmidts standen die dortige Newsky Nähgarn-Manufaktur (1913: 24 Millionen Rubel Kapital) und die gleichnamige Baumwollspinnerei, mit 230.000 Feinspindeln seinerzeit die größte Fabrik für feine Garne in Europa, deren alleiniger Leiter er von 1894 bis 1908 war. Als weitere wichtige Beteiligungen sind die Zeche Saturn im oberschlesischen Sosnowitz und die Narva Flachsmanufaktur in Reval zu nennen. An der finnischen Gegenküste erwarb der Unternehmer schon früh einen Sommersitz, wo man regelmäßig mit Sohn Wilhelm (1883-1924) und Tochter Louise Julie (1885-1944) die heißen Monate des Jahres verbrachte. Beide Kinder wuchsen in Russland auf. Auch mit Rücksicht auf ihre Zukunft beschloss die Familie 1898, den Lebensmittelpunkt langfristig nach Deutschland zurückzuverlegen. Noch in St. Petersburg vereinbarte Hammerschmidt mit dem Zuckerfabrikanten Leopold Koenig (1821-1903), dem Vater Alexander Koenigs, eine Option auf das zum Verkauf stehende Bonner Anwesen, das von Carl Christian August Dieckhoff (1805-1891) Anfang der 1860er Jahre erbaut worden war.

Villa Hammerschmidt
Villa Hammerschmidt in Bonn

Im Herbst 1898, nachdem er seinen Eltern anlässlich ihrer Goldenen Hochzeit ein großzügiges Haus (Villa Hammerschmidt in Bielefeld) geschenkt hatte, inspizierte Hammerschmidt in Bonn die Villa Koenig persönlich. Beeindruckt von der unvergleichlichen Lage und dem großzügigen Park entschloss er sich zum Kauf. Für 700.000 Goldmark wechselte das Anwesen Ende 1899 den Besitzer; nur unwesentlich mehr (750.000 DM) zahlte 1950 die Bundesrepublik Deutschland an die Erbengemeinschaft. Nach einigen baulichen Veränderungen zogen Ehefrau Lili und die Kinder im Mai 1900 ein, so dass Wilhelm Hammerschmidt im Sommersemester an der Bonner Universität das Studium der Staatswissenschaften aufnehmen konnte. Er wechselte 1902 nach Straßburg, wo er bei Professor Georg Friedrich Knapp (1842-1926), dem Vater von Elly Heuss-Knapp, 1906 mit einer Arbeit über die russische Baumwollindustrie promoviert wurde.

Rudolf Hammerstein hielten dringende Geschäfte noch ein Jahr in Russland. Als er im Frühjahr 1901 seiner Familie nach Bonn folgte, brachte er bereits in Russland und Deutschland ersteigerte Kunstschätze mit. In den Folgejahren war er auf zahlreichen Auktionen vertreten. Zeitgenössische Innenaufnahmen der Villa Hammerschmidt zeigen eine verschwenderische, heute eher überladen wirkende Pracht an Kunst- und Einrichtungsgegenständen unterschiedlicher Stilepochen.

Als Landsitz erwarb die Familie Gut Depenau in der Nähe von Kiel mit 4.000 Morgen Ackerland und Wald, Meierei und großem Viehbestand. In den Hungerjahren des Ersten Weltkrieges erwies sich die mit dem Anwesen verbundene Landwirtschaft als Glücksfall.

Ein Vierteljahrhundert unternehmerischen Erfolges in Russland hatten Rudolf Hammerschmidt, auf Vorschlag des deutschen Botschafters in St. Petersburg 1910 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt, ein beachtliches Vermögen eingebracht. Mit geschätzten 20 Millionen Goldmark stand er 1913 auf Platz 21 der Millionäre der Rheinprovinz; wesentlich begüterter waren nur Bertha Krupp, die Familie Haniel und andere Ruhrbarone. Sein laufendes Einkommen aus diversen Investitionen und Tätigkeiten wuchs nach Ausweis der Steuerdaten stetig (1908: 550.000 Mark; 1913: 900.000 Mark). Rechtzeitig vor dem Ausbruch von Weltkrieg und Revolution trennte er sich zudem im Frühjahr 1913 von einem Teil seiner russischen Besitztümer. Dennoch hat ihn die Enteignung der restlichen Anteile durch die Bolschewiki schwer getroffen.

Die herausgehobene wirtschaftliche  Stellung der Unternehmerfamilie spiegelt sich natürlich auch im gesellschaftlichen Leben wider. Auf dem Nachbargrundstück (im Palais Schaumburg) residierte Prinzessin Victoria von Preußen (1866-1929), eine Schwester Kaiser Wilhelms II. (Regierungszeit 1888-1918), verheiratet mit Prinz Adolf zu Schaumburg-Lippe (1859-1916), auch sie eine begeisterte Kunstsammlerin. Künstler und Wissenschaftler waren häufig in der Villa Hammerschmidt zu Gast, und immer wieder die tonangebenden Bonner Familien. Die Eheschließung des Sohnes Wilhelm mit Karoline Soennecken (1883-1972), der Tochter des bekannten Bonner Schreibwarenfabrikanten Friedrich Soennecken, verband 1908 zwei Dynastien, deren Reichtum durchaus neueren Datums war. Rudolf Hammerschmidts Plan, seinen Sohn nach dessen Volontariat bei der Deutschen Bank als Manager in St. Petersburg aufzubauen, scheiterte am Drängen der Schwiegertochter, vorzeitig an den Rhein zurückzukehren. Zwei Jahre lang arbeitete Wilhelm Hammerschmidt von Bonn aus für die Unternehmen des Vaters; Telegraph und verbesserte Eisenbahnverbindungen zwischen Deutschland und dem Nachbarland machten es möglich.

1913 kehrten auch die Eltern zurück – dieses Mal endgültig. Mit einem Teil der in Russland freigewordenen Mittel erwarb die Familie ein Drittel der Düsseldorfer Bank B. Simons & Co. Als Mitinhaber steuerte Wilhelm Hammerschmidt, unterbrochen durch Einsatz als Offizier im Ersten Weltkrieg, das Institut erfolgreich durch Krisen und Inflation. Rudolf Hammerschmidt hat den Ruhrkampf, die rheinischen Separatistenwirren und den Tanz der Billionen während der Inflation nicht mehr erlebt. Am 14.5.1922 starb er an plötzlichem Herzversagen.

Seine Witwe entschloss sich 1928, das zu groß gewordene Domizil zu vermieten und mit nur wenigen Erinnerungsstücken in eine Suite des rheinabwärts gelegenen Traditionshotels „Königshof“ zu ziehen. Inneneinrichtung und Kunstsammlung der Villa Hammerschmidt wurden versteigert und in alle Winde zerstreut. Nach dem zweiten verlorenen Weltkrieg innerhalb einer Generation war nach 1945 die Zeit der Millionärsvillen am Strom ohnehin abgelaufen. In unmittelbarer Nähe zum Bundeshaus und damit im Zentrum des ab 1949 anlaufenden Bonner Politikbetriebs gelegen, erfuhren sie nach Jahren der Beschlagnahme durch die Besatzungsmächte eine Aufwertung als Stätten der Repräsentation des jungen Staates.

 

Quellen

Martin, Rudolf, Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre der Rheinprovinz, Berlin 1913.

Kunstsammlung und Inneneinrichtung der Villa des Geheimen Kommerzienrats Hammerschmidt, Math. Lempertz’sche Kunstversteigerung 274, Köln 1928.

 

Literatur

Dahlmann, Dittmar/Scheide, Carmen,„ … das einzige Land in Europa, das eine große Zukunft vor sich hat.“ Deutsche Unternehmen und Unternehmer im Russischen Reich im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Essen 1998.

Salentin, Ursula/Hammerschmidt, Liselotte, Chronik der Villa Hammerschmidt und ihrer Bewohner, Bergisch Gladbach 1991.

Sonntag, Olga, Villen am Bonner Rheinufer 1819-1914, Band 2, Bonn 1998.

 

Online

Die Geschichte der Villa Hammerschmidt. Vom „Zuckerbäckerschloss“ zum „Weißen Haus von Bonn“(Information des Bundespräsidialamtes).

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