Die Gaststätte „Zum Pfeifenkopf“

von Klaus Riecken

Als Familienforscher über die Urgroßvater-Generation mit Stolpe verbunden, suche ich Informationen über Lebensumstände meiner Vorfahren, die im letzten Jahrhundert Pächter und Besitzer des „Pfeifenkopfes“ waren. Über ihn ist in den Gerichtsprotokollen und Grundbüchern des Gutes Depenau einiges zu finden. Der Brand des Dorfkruges im Jahre 1994 veranlasste mich dazu, einmal die bisher gesammelten Kenntnisse zusammenzustellen.

Abgesperrter Eingang
Abgesperrter Eingang nach dem Brand 1994

Der Brand 1994 war nicht der erste im Pfeifenkopf. Schon einmal, und zwar im Juli 1863, zerstörte eine Feuersbrunst den Dorfkrug. Eine Schwester des Besitzers wohnte auf der anderen Straßenseite und sah als erste das Feuer. Sie alarmierte andere, betrat das Haus, um zu retten, und kam dabei in den Flammen ums Leben.

Der Pfeifenkopf nach einer Skizze von Uwe Brauer
Der Pfeifenkopf nach einer Skizze von Uwe Brauer

Die Angst vor (Brand-)Katastrophen ist bei uns nicht mehr vorhanden, jedoch muss sie beispielsweise vor dem Ausbruch eines Feuers bei geringer Wirksamkeit der gegebenen Löschmöglichkeiten noch im letzten Jahrhundert groß gewesen sein. Dazu heißt es in Pachtverträgen von 1826 und 1839, dass der Pächter strengstens auf Feuer und Licht zu achten habe, denn er bleibt für den Schaden durch Feuer verantwortlich. Ein ansässiger Schmied wurde verpflichtet, wenigstens sechs Mal im Jahr die Reinigung der Schornsteine durch einen Schornsteinfeger durchführen zu lassen.

Logo Pfeifenkopf
Logo des Pfeifenkopf

„Das Wirtshaus ist eines der Hauptzentren des geselligen Lebens, viel besucht und häufig genug der Schauplatz spritziger und hitziger Wortgefechte, die unter Umständen zu handfesten Prügeleien ausarten. Die Getränke haben es in sich und lösen die Zungen, dass sie die hintergründigsten Geheimnisse offenbaren. Mancher sagt mehr, als er verantworten kann, und der, auf den die Äußerungen gemünzt sind, bleibt nichts schuldig.“1)
„Seit längerer Zeit hat sowohl das Nachtschwärmen in den hiesigen Krügen als auch die öftere Anforderung, Gelage mit Tanz und Spiel zu halten, sehr Überhand genommen. In Weihnachten, Fastnacht, Ostern und Pfingsten, also binnen einem halben Jahre, sind in jedem Krug 4 Gelage, mithin 8 in allen. Da meine eigenen Knechte, denen ich die Erlaubnis diesen Gelagen beizuwohnen ohne Nachtheil nicht verweigern kann, gewöhnlich dabei gewesen, so habe ich den daraus entstehenden Nachtheil um so mehr empfunden, da solche an den den Gelagen folgenden Tagen arbeitsunfähig gewesen sind. Auch den Knechten selbst erwächst davon großer Schaden, da sie das ihrige bei dieser Gelegenheit verschwenden. 2)

Pfeifenkopf - H. Schwenn um 1910
Gaststätte Zum Pfeifenkopf – H. Schwenn um 1910

Ein Dorfkrug ist zu jener Zeit als Bestandteil des Gemeinschaftslebens zu betrachten. Dieses war geprägt einerseits durch häusliche Gemeinschaft in Enge, Schmutz und Kälte verbunden mit Störungen des häuslichen Friedens, mit Existenzangst, Sorgen um Ernten, Angst vor Krankheiten, Tod, Krieg und Katastrophen und Reibereien zwischen den verschiedenen Generationen, andererseits durch das nachbarschaftliche Miteinander. Es wohnten verschiedene soziale Schichten nebeneinander wie Holz- und Scheunenvogt als kleine Gutsbeamte, Hufner, die darauf achteten, dass sie bei ihren Zusammentreffen unter sich blieben, Insten, Tagelöhner, Dorfhandwerker, Gutsarme, Alte und Außenseiter. Zwischen diesen Bewohnern kam es auch zu Streitigkeiten in Form von Beleidigungen und Handgreiflichkeiten. So manches Gerichtsprotokoll berichtet davon.
Aufgrund der eben geschilderten harten Lebensbedingungen stellte sich das Wirtshaus neben Mühle und Schmiede als beliebter Ort der Kommunikation dar, aber auch als ein Ort der Entspannung, Unterhaltung und des Austausches von Meinungen, kurz als ein Ort der Abwechselung: Es wurde gespielt, getanzt und gekegelt. Das Tanzen wurde ermöglicht durch einen im Dorf lebenden Musikus, der im Kirchenbuch erwähnt wird.

Pfeifenkopf 20er Jahre
Der Pfeifenkopf in den 20er Jahren

Später, 1875, wird eine Kegelbahn als separates Gebäude des Pfeifenkopfes aufgeführt. Trotz eines anstrengenden Tagesablaufs zur Erlangung des Lebensunterhalts verbrachten Dorfangehörigen so manche fröhliche Stunde im Krug. Dabei mag so mancher auch über die Strenge geschlagen haben, und am nächsten Tage fiel die Arbeit aus. Dieser Sachverhalt unterschied sich also nicht von dem obigen Bericht des Guts Schönweide. Die Gutsherrschaft von Depenau sah sich schon 1806 zu einer Eintragung in das Protokollbuch veranlasst, dass die Wirte in Wankendorf und Stolpe unter Androhung einer Gefängnisstrafe im Sommer nach 22 und im Winter nach 21 Uhr Gäste nicht bedienen durften. Der Gutsherr Depenaus hatte als Gerichtsherr im Gegensatz zum Schönweider Besitzer noch die Möglichkeit, seine Vorstellung als von allen zu befolgende Anordnung durchzusetzen.
Folgende Behauptung lässt sich zwar nicht belegen, jedoch wusste der Wirt aufgrund seiner Kontakte zu den Gästen oft mehr von den verschiedenen Dorfbewohnern als z. B. der Pastor, der ja auch nicht im Dorf wohnte. Zur Verdeutlichung dieser Behauptung lässt sich ein Gerichtsprotokoll aus dem Jahre 1847 nennen, in dem der Wirt zur „wahrhaften Aussage über dasjenige, was in besagter Angelegenheit zu seiner Kunde gekommen, aufgefordert“ wird. In diesem Fall ging es um gewildertes und verkauftes Wildbret.

Pfeifenkopf Schwenn - Kirchner
Pfeifenkopf Schwenn – um 1920 (rechts die Kaisereiche)

Im Verlaufe des letzten Jahrhunderts verursachten neu entstandene Verkehrsverbindungen, die zunehmende Mobilität und die Informationen ehemaliger Dorfangehöriger, die in sich industriell entwickelnden Zentren Schleswig-Holsteins wie Kiel, Neumünster, Flensburg und Altona oder gar nach Übersee abwanderten, eine Aufhebung der dörflichen Abgeschlossenheit. Somit gewannen die im Dorf verbliebenen Menschen Einblicke in andere soziale Verhältnisse. Das Wirtshaus als Kommunikationszentrum trug sicherlich auch dazu bei.
Eine genaue Datierung der Errichtung des Gasthauses ist nicht möglich. Schon vor 1800 nennt das Sterberegister zu Bornhöved einen Krüger in Stolpe. Mein Vorfahr wurde in der Volkszählung von 1803 in Stolpe als Nationalsoldat erwähnt, 1806 zum ersten Male im Zusammenhang mit dem Pfeifenkopf in einem Gerichtsprotokoll, indem er des Holzdiebstahles überführt wurde. Ob nun Jürgen Riecken (* 1776, + 1832, Hufner u. Gastwirt) das erwähnte Holz zur Errichtung oder Renovierung des Wirtshauses (herrschaftlicher Bau) erschwindelte, um, wie er sich ausdrückte, die Zeit einzuhalten, ist mehr eine Vermutung als Tatsache zur Datierung des Pfeifenkopfs.

Pfeifenkopf 1933
Der Pfeifenkopf nach 1933 unter dem Hakenkreuz

In einem Verzeichnis der im Gute Depenau vorhandenen Handwerker oder sonstiges städtische Gewerbe treibenden Eingesessenen wird berichtet, dass Jürgen Riecken zu Stolpe eine Konzession als Weißbäcker am 28.1.1824 erhielt. Vorher erhielt er die „Erlaubnis zur Treibung einer Hökerei und Krügerei.“
Im Nebenbuch zum Schuld- und Pfandprotokoll für die Untergehörigen der Dörfer Stolpe und Wankendorf (LAS 125.3 Nr. 28) wird 1823 ein Erbpachtvertrag zwischen dem Konkursverwalter Scheel und dem Krugwirt Jürgen Riecken, Stolpe, vereinbart. Dabei verpflichtet sich der Krugwirt, alle seit dem 18. April 1816, Antritt seiner Stelle, rückständig gebliebenen Bankzinsen zu bestimmten Terminen zu begleichen. Zu jenem Zeitpunkt kaufte der jetzt veräußernde Scheel das Dorf Stolpe und schloss mit den Pächtern Verträge, die 1823 aufgrund der Neuregelung nach dem Konkurs erforderlich wurden.
Als eine weitere Aufgabe des Kruges lässt sich die amtliche Informationsvermittlung aufzählen. Darüber berichtet 1829 das Protokoll einer Grundstücksveräußerung, in dem es heißt, dass dieser Verkauf in mehreren schleswig-holsteinischen Blättern, in der Kirche zu Bornhöved und im „Pfeifenkopf“ zu publizieren sei. Auch 1846 „erklärte der Gerichtsbote Petersen auf seinen geleisteten Amtseid, dass das in Frage stehende polizeiliche Verbot (eines Tanzgelages, K.R.) nicht allein auf dem Holzberge, sondern auch im Pfeifenkopf und sonst im Gute gehörig offizirt worden.“

1823 schildern die Protokolle für den Pfeifenkopf: „Mit dem Besitz der Stelle ist die ausschließliche Befugnis verbunden, Krugwirtschaft und Hökerei über beide Dörfer Stolpe und Wankendorf zu treiben. Er ist dagegen zur Stolper Mühle zwangspflichtig.“
Vorbeugend musste ein Schmied Riecken 1820 einen Passus in seinem Pachtvertrag unterschreiben, dass er keine Getränke ausschenken und keine Fremden beherbergen würde.
Die Zusicherung des Gutsbesitzers der oben angeführten ausschließlichen Befugnisse musste seitens des Pächters immer wieder neu durchgesetzt werden. Als 2 Beispiele dafür gelten Protokolle von 1845 und 1846, in denen es zum einen um Bewirtung durch den Bauernvogt in Wankendorf ging, und zum anderen um nicht erlaubtes Betreiben von Hökerhandel.
Über die Gebäude geben Beschreibungen anlässlich der Feuerversicherungsabschlüsse und eine Gebäudesteuerveranlagung von 1837 Auskunft: ein Wohnhaus von 10 Fach und ein Flügel von 6 Fach, beides mit Steinwänden, Schornstein und Strohdach, sowie ein Backhaus und eine Kathe werden 1824 genannt. 1853 kommen zu den schon bestehenden Bauten noch eine Wagenremise von 5 Fach und ein Schweinekoben von 6 Fach. 1867 werden aufgeführt a) Wohnhaus mit geräumigem Hof und Garten, 5 heizbare Zimmer, 1 Tanzsalon, 8 Kammern, Küche, Keller, b) Scheune, c) Waschhaus und Stallgebäude, d) Kate mit Gartenland, e) Kegelhaus. Das Haus wird zwar schon bewohnt, ist aber noch im Bau begriffen, nach dem Brand von 1863 wurde das Gebäude in massiver Ausführung und mit Pfannen auf dem Dach neu errichtet.

Pfeifenkopf 60er Jahre
Pfeifenkopf in den 60er Jahren mit VW-Pritsche

1875 werden Wohnhaus, Scheune, Waschhaus, Kathe und Kegelbahn erwähnt. Beim Vergleich der Auflistungen ergeben sich innerhalb von 50 Jahren rege Umbau- und Bautätigkeiten. Eine Erklärung für die Wertsteigerung der Gebäude, 1824 2040 Rthl., 1853 3340 Rthl., 1864 8000 M. und 1875 34000 M als abgeschlossene Versicherungssumme, könnten bauliche Erneuerungen aber auch allgemeine subjektive Wertsteigerung infolge der Reichsgründung, Industrialisierung und Aufbruchstimmung sein.
Auf Jürgen Christian Riecken, 1806 als Gastwirt und Hufner im „Pfeifenkopf“ erwähnt, folgte 1835 seine Frau als natürliche Vormünderin ihrer Kinder. Beider Sohn Johann Hinrich Riecken, geb. 1800, gest. 1887, folgte ab 1849 als Land- und Gastwirt, Höker und Bäcker. Ab 1858 wurde er auch in Wankendorf aktiv, pachtete etwa 10 Tonnen Land und ließ 1869 ein Krughaus errichten. 1876 werden der „Gasthof zur Mühle“ und eine Windmühle errichtet, die ein Sohn kurzzeitig betrieb. Vermutlich versprach sich Johann Riecken von diesen Wankendorfer Aktivitäten verbesserte wirtschaftliche Chancen, da ab 1864 die Eisenbahn durch Wankendorf führte. In diesem Zusammenhang muss auch noch erwähnt werden, dass er 1866 in Stolpe ein Grundstück mit der ehemaligen Schule kaufte, darauf ein Wohnhaus errichtete und das Grundstück 1877 an den Bäcker Bruhs verkaufte.

Zum Pfeifenkopf 60er
Zum Pfeifenkopf 60er Jahre

1882 trat sein Sohn Carl Albrecht Jürgen Theodor, geb. 1839, gest. 1911, als Kaufmann und Gastwirt die Besitzfolge an. Er verkaufte den Besitz 1893. Als Gründe lassen sich die Finanzierung der Auswanderung seiner Geschwister mit Familien (insgesamt 13 Personen) nach Nordamerika ab 1868 bis 1894 und die Trunksucht seiner Frau anführen. Ob eine hohe Verschuldung aufgrund der Wankendorfer Tätigkeiten vorlag, kann heute nicht geklärt werden. 90 Jahre oder 3 Generationen Familie Riecken zum „Pfeifenkopf“ in Stolpe gingen zu Ende.

Abbruch des Pfeifenkopf - Wendt
Der Abbruch der Ruine des Pfeifenkopf 1995

Literatur:
1) Jacobeit, Sigrid und Wolfgang, Illustrierte Alltagsgeschichte des deutschen Volkes 1550 –     1810, Köln 1988

2) Kramer u. Wilkens, Volksleben in einem holsteinischen Gutsbezirk, Neumünster 1979

3) Gerichtsprotokolle des Gutes Depenau, LAS 125.3

 

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