Een Lütt Licht von Matthias Stührwoldt
Was war das doch für ein Jahr, dieses 2020. Wir haben Corona; ich selbst hatte es auch, und unsere Welt ist komplett anders als noch vor einem Jahr. Und doch – und ich finde, das muss man auch einmal sagen – war nicht alles schlecht. Zum Beispiel ist der HSV in diesem Jahr nicht abgestiegen, und mein Ford Transit hat nach elf Jahren und 385.000 Kilometern auf der Uhr noch einmal eine frische TÜV-Plakette bekommen. Uns wurden nach nur einigen, am Ende gar nicht mal so teuren Schweißarbeiten voraussichtlich zwei weitere gemeinsame Jahre geschenkt. Das hat mich echt gerührt.
Ich weiß, es ist nicht rational, aber ich habe nun einmal eine sentimentale Beziehung zu meinem alten Tourbus. Ein unkaputtbarer Dieselmotor, Heizung, Getränkehalter, CD-Player, eine Sitzbank zum Pennen auf der Autobahnraststelle. Rock`n`Roll, und nachts zum Wachbleiben Naschies vom Autohof. Man sieht es mir an.
Was wird mir einfallen, wenn ich irgendwann in der Zukunft an das Jahr 2020 zurückdenken werde? Natürlich weiß ich das jetzt nicht, aber ich weiß, woran ich gern zurückdenken will. Nämlich an einen Abend im Juli, auf unserem Hof, in unserem Garten. Tim Lothar ist ein Freund von mir, ein Bluesmusiker aus dem Norden Dänemarks. Wie alle Bühnenkünstler litt er extrem unter dem Lockdown. Im Mai schrieb er mir von seinem ersten Open-Air-Konzert in Coronazeiten. In einer Vorstadtstraße hatte er seinen Verstärker aufgebaut und seine Songs gespielt, während die Leute auf ihren Balkonen saßen und der Musik lauschten. Das muss seltsam gewesen sein, aber es war. Immerhin. Etwas.
Ich lud ihn ein, bei uns im Garten ein Konzert zu spielen, und er sagte zu. Am späten Nachmittag kam er mit seinem deutlich älteren und deutlich verrosteteren Tourbus auf unseren Hof gerollt, baute im Garten sein Equipment auf, und als ich mit dem Melken fertig war, begann ich, den Zuschauerraum zu gestalten. Ich warf Strohklappen vom Heuboden und fuhr sie mit der Schubkarre in den Garten, wo ich sie mit Abstand im Halbkreis vor der Bühne verteilte. Die Bühne bestand aus einem Stuhl. Getränke hatte ich schon vorher eingekauft, kleine Flaschen für jede und jeden.
Zu jenem Zeitpunkt waren private Veranstaltungen mit bis zu fünfzig Leuten zulässig. Ich hatte Freunde eingeladen, die wiederum Freunde mitbrachten. Am Ende waren wir neunundvierzig. Das nenne ich Punktlandung. Alle trugen sich in die bereit liegende Kontaktliste ein, nahmen sich was zu trinken, setzten sich auf die Strohklappen, schnackten in freudiger Erwartung des bevorstehenden Konzerts.
Die Vögel sangen; im Hintergrund rauschte die Autobahn ihr ewiges Rauschen. Es war ein lauer, windstiller Abend. Dann setzte Tim sich auf die Bühne, nahm sich seine Gitarre und begann zu singen. Er sang seine besten und zärtlichsten Songs, und für einen Augenblick schien meine Welt vor Aufregung und Glück still zu stehen. Ich saß auf einer Strohklappe in der ersten Reihe, die Liebste in meinem Arm; unsere jungen Hunde tobten durch den Garten, und die Luft war voll von der besten Musik, die hier jemals ertönt war. Ich blickte mich um, und überall waren da frohe Gesichter. Auch Thea war da, eine Kollegin aus dem Gemeinderat. Wie ich war sie während der Märzsitzung des Gemeinderates mit Corona infiziert worden. Nach Wochen auf der Intensivstation, teils künstlich beatmet, hatte sie sich ins Leben zurück gekämpft. Nun saß sie hier in unserem Garten, ehrenhalber als einzige auf einem Sofa, und lauschte der Musik. Es war ein Fest an diesem Abend, ein großer Spaß, Mensch zu sein unter Menschen, und ich dachte: Es ist genau so, wie es sein soll. Life is fun.
Später wurde es langsam dunkel, und das Konzert war noch nicht zu Ende. Über Bühnenbeleuchtung hatte ich mir vorher null Gedanken gemacht. Im Heizungsraum fand ich eine kleine Lampe, rollte eine Kabeltrommel aus und stöpselte das Licht ein. Es wurde zwar nicht hell, aber hell genug, so dass Tim noch ein wenig weiter spielen konnte. Ich hatte mich gerade wieder auf die Strohklappe gesetzt, da hörte ich, wie einer meiner Freunde sagte: Een lütt Licht is int Dustern goot to sehn.
Ich musste lächeln. Wie Recht er doch hatte. Een lütt Licht is int Dustern goot to sehn. Een lütt Licht – das war an diesem dunklen Abend die Lampe aus dem Heizungsraum für Tims Bühne in unserem Garten, und das war dieser wundervolle Abend in diesem dunklen Jahr.
Een lütt Licht is int Dustern goot to sehn. Dieser Satz klingt so unglaublich gut; ich kann ihn gar nicht oft genug sagen. Übrigens spielt Tim Lothar im Juli 2021 wieder in unserem Garten. Das haben Tim und ich schon abgemacht. Wir machen Pläne für die Zukunft, und wenn wir Pläne machen, haben wir etwas, worauf wir uns freuen können.
Vielleicht gibt es im Sommer 2021 in unserem Garten auch richtiges Licht für die Bühne. Und wenn nicht? Zur Not wird es auch eine Kerze tun. Een lütt Licht is int Dustern goot to sehn.