Egon, Weihnachtsbaum

Eine – wahre – Weihnachtsgeschichte von Theresia Künstler

Tach, alle zusammen. Mein Name ist Egon.

Eigentlich wollte ich das ja vermeiden, das mit dem Weihnachtsbaum. Dafür habe ich mich in diesem Jahr mit dem Wachsen ziemlich angestrengt. Und als ich so an mir runtersah, im Oktober, sagte ich zu mir: Junge, Du hast’s geschafft, die Sache mit dem Weihnachtsbaum ist durch. Definitiv. Für einen Baum in der Wohnstube war ich eindeutig zu groß. Woher ich das weiß? Mein Kumpel Willi, er stand ein paar Meter von mir entfernt, wusste alles, aber auch wirklich alles über Weihnachtsbäume. Habe ich gedacht. Bis gestern. Aber da war es schon zu spät.

Ich hatte gerade Besuch von der Amsel gehabt. Wie immer hat sie mir ihr kleines, weißes, übelriechendes Geschäft hinterlassen, da sehe ich, dass mein Herr und Meister, der mich in diesen Garten verpflanzt hat, ich glaube, er heißt Flo oder so, mit zwei Typen angestapft kommt, die nicht gerade vertrauenserweckend aussehen. Die Beiden haben einen ziemlichen Hals, das sieht man auf hundert Meter! Den einen kenne ich sogar, der wohnt nebenan und heißt Hauke. Eigentlich mag er lieber Motorräder als Bäume. Und der andere, es könnte sein Bruder sein, macht einen ziemlich entschlossenen Eindruck. Oh nein, er hält eine Benzin-Motorsäge in der Hand! Und was das heißt, das weiß ich von Willi…

Flo sagt, der müsste gehen, der hat die richtige Größe. Was? Ich bin doch schon viel zu groß. Das sehen die Beiden aber ganz anders. Der Entschlossene zieht an einem Seil und schon geht ein ohrenbetäubender Krach los und dann macht es – Autsch. Ich habe das nie geglaubt, das mit dem Autsch. Ich denke, es wird einem schwarz vor Augen und dann ist alles aus. Weihnachtsbaum-Nirvana.

Aber weit gefehlt. Die beiden zerren an mir rum. Ich bin natürlich zu schwer. Da holt der eine, der Nachbar, seinen Trecker und bindet meinen Stamm fest. Und dann – ziehen sie mich über die Straße, so wie man früher die Leute an den Pferden durch den Staub gezogen hat. Das weiß ich auch von Willi.

Zum Glück sind wir gleich da, nur um die Ecke. Da liege ich jetzt, und mir dämmert’s. Nebenan liegt ein Zwerg von einem Kumpel und jammert, dass sie ihn nicht haben wollen. Er sei zu klein, was für eine Beleidigung. Ich sage ihm, er soll’s Maul halten, sonst gibt’s was. Er jammert leise weiter vor sich hin. Da tut er mir doch ein bisschen leid und ich raune ihm zu: Kumpel, es nicht noch nicht aller Tage Abend. Wart’s ab.

Als wär‘ ich ein Hellseher, kommt doch eine junge schicke Frau mit ihrem Gör vorbei und fragt, ob sie ein paar Zweige abbekommen könnte. Für Weihnachten. Durch die Beiden geht unmerklich ein Ruck. Aber klar, sie könne den ganzen Baum haben, wenn sie wolle. Der Entschlossene, ich weiß jetzt, dass er Thomas heißt, zieht wieder an der Leine, gleiches ohrenbetäubendes Geräusch und dann ist der Kumpel noch ein Stückchen kürzer. Autsch, sagt er. Jetzt ist er klein genug für die Wohnstube. Und sie klemmt sich glücklich den Kumpel unter den Arm. Der weint jetzt leise vor sich hin vor Glück. Endlich wird er doch noch ein Weihnachtsbaum. Und sie zerrt ihn hinter sich her durch den Staub zu ihrem Haus. Zum Glück ist es nicht so weit.

Aber nun geht es mir wirklich an den Kragen. Sie säbeln mit der Motorsäge an meinem Stamm herum. Wollen die Bleistift aus mir machen? Dann begreife ich’s. Ich passe sonst nicht in die Vorrichtung, die mein Nachbar gebaut hat, mein ehemaliger Nachbar. Das macht noch mal Autsch, aber nicht der Rede wert. Jetzt versuchen sie mich in die Vorrichtung zu stecken. Das schaffen sie natürlich nicht. Da kommt schon Stefan mit seinem Kumpel. Zimperlich sind die nicht. Sie reißen an meinen Ästen, hierhin, dahin. Und dann stehe ich. Passt, sagen sie. Na ja, ein bisschen schief. Aber was ist schon wirklich perfekt?

Vor der Schmiede

Erwartungsvoll stehe ich nun da vor der Alten Schmiede. Und was passiert? Nichts. Die beiden haben es auf einmal furchtbar eilig nachhause zu kommen, und ich stehe da, wie bestellt und nicht abgeholt.

Die Nacht bricht herein. Die Amsel sagt mir Gute Nacht. Ihr ist es egal, ob ich da oder hier stehe. Aber mir nicht.

Am Morgen, als ich aufwache, ist immer noch nichts passiert. Wenn Willi da wäre… Aber der hat mich schon einmal enttäuscht. Um 10 Uhr erscheint dann auf einmal wieder der Entschlossene, sein Ehegespons im Schlepptau. Wenn die wüsste… Ziemlich übel gelaunt holt er die Leiter von seinem Bruder rüber. Ein anderer bringt Körbe mit irgendwelchen Sachen drin. Und dann fängt der übellaunige Entschlossene an mich mit dem Kabel zu umwickeln, Glühlampen in die Fassungen zu drehen und rote Schleifen an mir zu befestigen. Was soll das?

Ich bin doch kein Weihnachtsbaum! Oder doch? Jetzt ist noch meine ehemalige Nachbarin hinzugekommen, die freundliche alte Frau. Dann kommt noch ihre Tochter und sie zieht sich eine genauso alberne rote Mütze auf wie ihr Bruder, bloß mit dem Unterschied, dass die nicht blinkt.

Tiefer kann man nicht sinken. Der Entschlossene ist jetzt gar nicht mehr so entschlossen, weil ihm die Fingerspitzen schweineweh tun bei der Kälte. Ich sehe mich schon als halb Vollendeter in der Gegend rumstehen. Da kommt wieder der Stefan, mein neuer Nachbar. Der ist Gerüstbauer, tanzt die Leiter hoch und runter und hat gute Laune. Wer sagt’s denn. Geht doch. In Null komma Nix liegt die ganze Lichterkette um mich rum. Ein kurzer Test. Ja, ich leuchte. Wie ein Weihnachtsbaum. Jetzt kriege ich von den drei Frauen noch rote Schleifen und weiße Kunststoffkugeln verpasst. Die Stimmung steigt. Ein Selfie mit (fast) allen. Der Entschlossene bringt noch die Leiter weg.

Und dann stehe ich da und gucke an mir runter. Alle sind weg. Und ich, ich fange an zu plärren. Memme. Aber ich find mich schön.

Abends kommen Leute, der Entschlossene steckt den Stecker rein. Und alle klatschen. Ich strecke mich, als sie anfangen zu singen. Zum Glück ist eine Frau mit dem Akkordeon dabei und einer sagt an, was sie singen sollen. Und das machen dann auch alle. Es hört sich gar nicht mal so schlecht an, obwohl der Ansager meckert, sie sängen nicht laut genug. So jetzt strengen sich alle an. Ich plärre schon wieder. Vor Freude. Ich bin jetzt ein Weihnachtsbaum.

Ein Weihnachtsbaum für ein ganzes Dorf. Ich glaube, das heißt Stolpe. Oder so.

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